Freitags um 16 Uhr fährt an Solar Kitchen ein Bus Richtung Sadhana Forest ab, das recht weit draußen liegt. Wir waren pünktlich um 15:55 Uhr da. Es waren drei Busse und keine Platz mehr frei.

Ich weiß nicht, auf was wir da beim Fahrer saßen. Wir sind angekommen. Schließlich hatten sich ca. 100 Personen aus aller Welt in einer riesigen Hütte mit Palmwedel-Dach versammelt. Wir waren 2009 schon einmal dort gewesen und erkannten vieles wieder, aber die Bäume waren größer und nicht Aviram, der Sadhana Forest zusammen mit seiner Frau Yorit gegründet hatte, saß vorne, um eine Einführung zu geben, sondern ein smarter junger Mann aus GB.
Bei seinen ersten Worten blieb mir fast der Mund offenen stehen: Sadhana Forest ist gegründet auf Compassion – Mitgefühl, (wörtlich) Mitleid, Barmherzigkeit. Das war der Begriff bzw. Wert, über den ich immer wieder nachgedacht hatte, ob der auch zu den Werten Aurovilles gehört.
In Sadhana Forest ist es zentral: Was bedeutet Mitleiden mit der Umwelt? Welche Konsequenzen hat es, wenn wir ihr Leiden mitfühlen? Was bedeutet Mitleiden mit Tieren? Was bedeutet Mitleiden mit Menschen? Die Antworten wurden zusammen getragen und dabei kam heraus, was Sadhana Forest praktiziert: Wiederherstellung der Natur durch Wiederaufforstung – natürlich mit einheimischen Bäumen. Vegane Ernährung, um Tieren die Zumutungen unserer Tierhaltung zu ersparen. Tiere werden in keiner Weise genutzt (Nicht mal Kuh-Dung als Dünger, was ich nicht so ganz schlüssig finde.). Es gibt ein paar „Gnaden“-Rinder, die vor der Schlachtung gerettet wurden. Und natürlich mitfühlender, freundlicher, helfender Umgang der Menschen dort miteinander – bei minimalem Komfort: Hütten, Gemeinschaftsküche, Komposttoiletten (die sind gar nicht schlecht), Stromversorgung durch Solar für´s nötigste. Aber vor allem eine „Giving Ökonomie“: alles wird kostenlos abgegeben. Das bedeutet auch, dass die Menschen, die dort über Jahre arbeiten, kein Gehalt bekommen, sondern nur ein kleines Taschengeld. Allerdings müssen Kurzzeit-Voluntäre pro Tag 800 Rupien fürs Essen zahlen. Zwei junge Deutsche, die wir trafen, erzählten, dass viele junge Menschen, die low budget unterwegs sind, sich das nicht leisten können; trotzdem kommen ca. 1500 pro Jahr. Und es werden Spenden eingeworben. Bitte gerne große Spenden, denn die Aufforstungsprojekte werden auch in Tanzania, Haiti und einige weiteren Orten in Indien durchgeführt. Neue Sadhana Forests sollen kommen – Startkapital jeweils 1 Mio. US-Dollar oder Euro. Und viele Langzeit-Voluntäre!
Nach der Einführung gab es einen Rundgang durch das Gelände. Was ist das wichtigste zu bedenken, bevor man einen Wald pflanzt? Wie man das Wasser leitet, festhält und speichert. Kleine Bäume brauche im Sommer auch oft Bewässerung. Dafür wird eine große Plastikflasche kopfüber mit eingegraben, deren Verschluss durch ein Seil ersetzt ist und deren Boden raus geschnitten ist. Wenn man in die Flasche Wasser gießt, wird es direkt zu den Wurzeln geleitet und kaum etwas verdunstet (Das merken wir uns!).
Nach dem Rundgang gab es einen Film – wie schon 2009 viele gut Gründe, sich fleischlos zu ernähren, diesmal aus medizinischer Sicht. Dann – und das war neu – stellten sich Volontäre vor, die sich unter die Gäste mischten. Nun tauchte auch Aviram auf. Dann endlich gab es etwas zu essen – natürlich vegan und lecker. Sogar Schokoladenkuchen.
Ich konnte Fragen loswerden: Wie baut ihr die Nahrungsmittel an? – Gar nicht, sie werden von den umliegenden Biofarmen gekauft. In Sadhana Forest geht es nur um den Dienst an der Natur (Also ist es keine Permakultur, denn darin steckt ja Agrikultur: Essbares). Wie geht ihr in Haiti mit der Gewalt um? – Die kommt dort nicht an. Das Projekt liegt jenseits einer kleinen, schwer zugänglichen Stadt, in der es für die Banden nichts zu holen gibt. Zwar hat sich der einzige Polizist nach Miami abgesetzt, aber die Einwohner passen auf und beschützen auch das dortige Sadhana Forest, denn nach dem Zusammenbruch der Wasserversorgung gibt es nur dort Trinkwasser für alle – umsonst (Beeindruckend!)
Compassion ist kein Wert an sich in Auroville (Was nicht heißt, dass sie nicht doch viel praktiziert wird.); um so mehr in Sadhana Forest, das eher nur formal zu Auroville gehört. Inhaltliche Verbindungen gibt es kaum. Viele sehen Sadhana Forest kritisch. Sie haben in den 70er Jahren unter viel schwierigeren Bedingungen angefangen, den Wald zu pflanzen und Infrastruktur aufgebaut. Von der entstandenen Anziehungskraft profitiert Aviram jetzt, ohne es zu würdigen. „Aber er tut wenigstens etwas für die Umwelt“.
Die Quelle für die zentrale Bedeutung von Compassion für Sadhana Forest dürfte die Hebräische Bibel sein. Aviram und Yorit kommen aus Israel, säkulare Juden, aber 3000 Jahre Tradition, in dessen Mitte der Satz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ (3. Mose 19,19) steht, lassen sich nicht kurz mal aus dem Herzen verbannen. Als Quelle für helfendes Mitleiden wird er leichter erkennbar in der Übersetzung „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Das treibt sie dort und das darf gerne anstecken.